Traumpfad

von 2b am 10. August 2006

Tessin, Locarno, Avegno. Irgendfrüher. Harte Kletterei. Oft an der Haftgrenze. Direkt am Wandfuss dann das Supergrotto (Achtung: nur das eine der Drei!). Zuerst ein grosses Panache, zwei. Dann das berühmte Pferdefilet und dazu ein Sassariente. Sassariente? Was heisst das? Natürlich Merlot! Aber der Name? Lorena, meine Lektorin und, wenn nötig, auch Übersetzerin für dt-it-dt, forscht später nach. Klar: Sassa = Stein. Aber riente? Kein eindeutiges Ergebnis.

Jahre später. Ha, Sassariente ist ein Berg. Er steht bei Locarno, direkt über der Kellerei, die den Wein gleichen Namens herstellt. Ein prächtiger Zahn. Mit einer senkrechten Südwand, die weit in die Magadinoebene hinaus leuchtet. Aus hellgrauem Kalk, der glänzt in all dem Wald.
Jetzt, da ich den simplen Zusammenhang kenne, möchte ich hinauf. als Elsbeth mit dem Vorschlag kommt, bin ich sofort dabei. Der Name heisst zwar immer noch etwas Unbekanntes, bestimmt Alttessinisches. Ist nicht mehr wichtig.

Wichtig ist: Hier beginnt ein Traumpfad!
Sommermorgen. Ein fantastischer Pfad im schattigen, lichten Buchenwald. Hellbraunes Laub kontrastiert zauberhaft mit runden, grauen Blöcken. Sanftes Steigen in ausgewogenen Kehren. Wunderbar angelegt. Stille. Allein.
Auf Lichtungen schöne Weiler. Dann: die Polackenmauer! Ein Unikum in Europa. Die Tessiner haben ihre chinesische Mauer. Von polnischen Internierten 1949 gebaut. Oder bloss ausgebessert? Zuerst ihr entlang. Dann auf ihr. Vor allem jene, die weiter gehen bis zur Cima di Sassello, balancieren auf der Mauer den ganzen Grat entlang. Treppauf, treppab. Perfekt gefügt die zentnerschweren Platten. Ein Meisterstück. Bis die Mauer schliesslich kurz vor dem Gipfel im Leeren endet. Sie fordert doch einiges ab. Aber man kann stets ausweichen ins Gras. Könner aber bleiben auf ihr jeden Meter, auch im steilsten Stück, wo kurz richtig Klettern angesagt ist. So oder so: ein wahrer Traumpfad. Einmalig in seiner Art.
Sinn und Zweck der 2-Kilometer-Mauer: unbekannt. Spekulationen: viele. Bis zum Abhalten der Malariakranken, von denen man im Verzascatal die Ansteckung befürchtet haben soll (ok, so lange weiss man ja noch nicht, wie Malaria übertragen wird). Die haben unten, wo das Seitental ins Verzascatal mündet, sogar eine richtige Pforte gebaut.
Und hoch auf der Mauer wieder zurück. Luftig, etwa 50 cm breit. Zwischendurch eine Kante bloss – Hahnenkamm. Alles umgehbar. Einfach absteigen und später wieder aufsteigen. Spätestens jetzt aber unbedingt abzweigen zum Sassariente. Der Gipfelzahn mit Eisenbügeln und reichlich Hanf gezähmt (bad News für Kiffer: nicht rauchbar!). Wer versiert ist, lässt das alles weg und schafft es trotzdem locker. Kein Traumpfad. Aber spassig und interessant. Die Aussicht aber dann wieder: ein Traum. Alles bietet sich dem Auge dar: von der kultivierten Ebene, wunderbaren Seen, hell leuchtenden Städtchen (Locarno) und Dörfern, dem wilden, bewaldeten Bergkranz rundum, den zahllosen engen Tälern (Cento-Valli inklusive!), bis zur weissen Front der Walliser Riesen, die so herrlich über dem Talschluss der Verzasca leuchten. – Teile dieses ganzen Ensembles übrigens in wechselnden Perspektiven auf der ganzen Traumreise.
Schliesslich auf anderem Pfad, durch zauberhafte Maiensäss und wieder lichten Wald – diesmal mit Kastanien gemischt – hinabtauchen bis zum Vogornosee. Die Post spart. Erst um 19.00 Uhr der nächste Kurs. Jetzt ist 16.30 Uhr. Das zweite Auto bereits nimmt uns mit. Sehr nett. Fährt uns direkt zum Bahnhof Tenero. Trotz grosskalibriger Pistole unter dem Beifahrersitz. Wir haben das Thema beide vermieden – der Fahrer und ich. Zudem hatte ich ja meinen Fuss drauf. Bald zurück in der Hitze von Locarno. Herrlich. Heimreise wie üblich, mit Zwischenstopp in Airolo, bei Forni: „fein fein.“ (Zitat von unserem Lieblingskellner beim gemeinsamen Studium der Weinkarte – gilt aber für alles!).

Den ganzen Tag über wird das innere Wissen vom einfachen Leben geweckt. Ist es u.a. das, was die Menschen hinaus- und hinaufzieht?

Informationen über die Tour.

2 Kommentare

  1. […] gar live zuhörte! – hat auch den heissen Wandertipp im Tessin vernommen. Dazu existiert eine ausführliche Beschreibung von 2bd. Sie findet sich im 2bd magazin. Kommentare […]

    2bd Blog | Bernhard Brändli-Dietwyler » Traumpfad am 22. Oktober 2009 um 10:02 Uhr

  2. […] du eine der Touren planst. Denn für dieses Jahr ist es wohl vorbei. Ausser … vielleicht für die Polenmauer. Comments […]

    2bd Blog | Bernhard Brändli-Dietwyler » Wandern auf luftigen Graten am 8. Februar 2012 um 14:23 Uhr

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