Sommererinnerungen eines Kurzzeitbauern

von 2b am 29. Juli 2008

Nach Tagen des wunderbaren Auf und Abs in den Schweizer Alpen, mit regelmässigen und oft einzigartigen Ruhepunkten, aber stehts in Berggewandung gehüllt – sei das zum Schutz vor der prallen Sonne und zum Wegtransportieren des Schweisses, sei das zum Schutz vor Wind, Kälte und Regen – liege ich nun in angenehmer Nacktheit, umspielt von einem lauen Lüftchen, vor dem Pool. Ich habe ihn eben gereinigt und danach ein Bad genommen. Jetzt bin ich bereit für eine Liegepause im heimischen Garten.
Auf der andern Seite des Gartens, hinter einer hohen, dichten Hecke, die zahlreichen Tieren Schutz und Lebensraum bietet, getrennt nur durch ein Flursträsschen, liegt ein Rebberg. Und dort fährt ein Bauer auf seinem Traktor in weniger wunderbarem, aber stetem, dröhnendem Auf und Ab. Jedes Mal, wenn er, oben angekommen, wendet, weht besagtes laues Lüftchen eine Wolke aus des Traktors Auspuff zu mir herüber.

Ich habe mich zu entscheiden:

  • Soll ich mich ärgern – ohnehin und weil es Mittag ist?
  • Oder mache ich mich unabhängig?

Den Aufwand scheuend, aufzustehen und die angezeigte Ruhe anzuordnen, wähle ich die Alternative und schliesse die Augen …

Ich liege auf der eben gemähten Wiese auf den Stoppeln, die noch feucht und daher weich sind, und mache einen ausgedehnten Ruhepunkt, zu einer Zeit, als das Wort wohl kaum existierte und wo dessen Botschaft noch nicht dieselbe Dringlichkeit besass. In der Nähe fährt ein Traktor auf einem nahen Feld. Der gehört hier dazu und stört mich, der ich eben noch selber auf dem Traktor sass, in keiner Weise in meiner Ruhe.

Ich bin im Landdienst.

Zu meiner Zeit im Lehrerseminar war der Landdienst, 3 Wochen in den Sommerferien, noch obligatorischer Teil der Ausbildung. Und wenn ich bis dahin den Begriff: ‚ins kalte Wasser geworfen‘, noch nicht aus eigener Erfahrung gekannt hätte, er wäre mir schlagartig und unauschlöschlich eingeprägt worden.
(Doch als regelmässiger Besucher der Sommerferienschwimmkurse im Zürcher Letzibad – dort, wo sich jüngst die Eurofans tummelten – und schliesslich ausgebildeter Rettungsschwimmer wurde ich mehr als einmal bei trübem, regnerischem Wetter buchstäblich ins kalte Wasser geworfen – mit und ohne Kleider; und entsprechende Erfahrungen wiederholten sich merkwürdigerweise öfter in meinem Leben).
Auf jeden Fall: Die Bauersfrau auf dem kleinen aargauischen Bauernhof in Linn – das mit den Linner Linden! – empfing mich nämlich mit hörbarem Aufatmen und einer Pfanne Rösti mit Spiegeleiern. Letzteres sollte in den nächsten drei Wochen mein Frühstück sein.

„Bin ich froh, dass Sie da sind. Mein Mann ist heute Morgen mit akutem Blinddarm ins Spital eingeliefert worden, und da ist, mitten im Sommer, niemand, der so kurzfristig einspringen kann.“

Ups!

Meine Mutter war zwar eine Bauerntochter aus dem Thurgau. Doch wohnte unsere Familie in Zürich. Ich kannte das Handwerk des Bauern nur von einfachen Hilfsarbeiten wie heuen und Kühe hüten aus – allerdings unvergesslich schönen – Ferienaufenthalten.

So war aus dem Seminaristen mit einem Schlag ein Bauer geworden, der die Hauptverantwortung für einen Hof trug – mitten in der Saison. Ich lernte innerhalb etwa eines Tages, eben: Traktorfahren; dazu die Bedienung der verschiedenen Landmaschinen und natürlich, mit ihnen korrekt zu arbeiten: zu mähen, zu wenden und so weiter. Für das Melken ging mir glücklicherweise eine Nachbarstochter zur Hand. Ich brauchte die Milch nur noch zur Molki zu fahren, wo ich von den andern Bauern freundlich aufgenommen und mit wertvollen Tipps versorgt wurde.

Während die Frau des kranken Bauern das Haus und den Garten besorgte, fuhr ich am Morgen früh mutterseelenallein auf die Felder. Daneben galt es noch, die Kühe rauszulassen und abends wieder reinzuholen, den Schweinestall auszumisten, den Eber vorzulassen …

Mein Landdienst auf dem Bözberg geriet, kurz gesagt, zu einer fantastischen Erfahrung. Weil es da nicht um eine Alibiübung für abkommandierte Städter ging, sonder von der ersten Stunde an ernst galt.
Ich musste mich bewähren und durfte mich bewähren: Schwimmen im kalten Wasser.
Und das im besten Alter für Bewährungsproben. Was für den einen ein Schicksalsschlag war, wurde zur glücklichen Stunde für den andern.

… Ich tauche wieder aus den Tiefen der inneren Räume auf. Flimmernde Stille hängt über dem Garten; der Weinbauer hatte ein Einsehen. Der Pool lockt.

Platsch!

1 Kommentar »

  1. […] am Paradeplatz in Zürich, passierten wir Linn, Ort des Landdienstes, von dem ich vor wenigen Tagen erzählt habe. Leider stehen die Linden nicht mehr. Doch die Erinnerung unerwartet doppelt aufzufrischen, […]

    2bd Blog am 3. August 2008 um 20:59 Uhr

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