Der Chüemettler

von 2b am 15. Februar 2012

Kennst du den Chüemettler?
Auch mir ist der Name erst seit letztem Frühsommer geläufig, als ich mit Michael eine sehr verkürzte Version der Speerrundtour absolvierte (Chli Speer-Speer N-Kante-Furggli-Chüemettler), dafür in intensivem Dialog. Im selben Sommer betrat ich das Furggli dann zum Schluss der grossen Speerrundtour bereits zum zweiten Mal, verzichtete dann aber, müde und zu fortgeschrittener Stunde, auf den mir bereits bekannten Chüemettler und dessen interessanten T4-Wanderwegabstieg, sondern nahm den direkten Weg hinunter, zurück nach Mittlerwengi.

Dabei bist du auf dem Weg nach Chur oder ins Glarnerland schon oft am Chüemettler (1703) vorbei gefahren! Seine mächtige Westflanke thront nämlich kurz vor Ziegelbrücke, bzw dem Walensee linkerhand eindrücklich über dem Tal. Als schiefe dunkle Pyramide im Vordergrund, links vom noch mächtigeren Federispitz, der über Ziegelbrücke wacht und rechts vom Speer im Hintergrund.

Und eben über diese Westflanke stiegen wir gestern (10. Februar) auf. Wohlgemerkt: mit Ski an den Füssen! Wenn du nämlich das nächste Mal bei der Vorbeifahrt hoch schaust, wirst du dort vor allem Wald und Felsen entdecken.

„Wo um alles in der Welt fährt hier Adrian mit den Skis durch?“ fragte treffend ein Hikr-Kommentator, der den Chüemettler Normalweg im Sommer beschrieb. Besagter Adrian wiederum hatte den Tipp scheints von einem «Local», die sich typischerweise an allem Möglichen versuchen, was um sie herum gen Himmel steigt.

Und dieser Tipp ist genial. Tatsächlich erwies sich die Abfahrt durch diese Flanke als ungetrübtes Skivergnügen der Sonderklasse, ohne Einschränkung – was bedeutet, ohne während der Abfahrt einmal die Skier abzuschnallen!

Allerdings entdeckt man erst von Nahem eine mögliche Skiroute durch die breite Westflanke. Durch jeweils versetzte Waldlichtungen schlängelt sich der Weg hinauf, bis unter die verschneite und vereiste Gipfelzone, wo man eher auf gut Glück hofft, gleich den richtigen Ausstieg zwischen den steilen Felsbändern hindurch zu finden.

Freund Ossi wollte und ich konnte.

Als wir losfuhren war noch nichts entschieden. Der Lawinenbericht hatte beinahe für das ganze Gebiet der Schweizer Alpen auf erheblich geschaltet und der Wetterbericht war so-la-la. Allerdings wusste ich aufgrund der Informationen, dass die kurzfristige Erhöhung der Gefahrenstufe ausschliesslich auf Triebschneeansammlungen zurückzuführen war. Also konnten wir aufgrund der Geländeverhältnisse in etwa abschätzen, wo uns was erwartet. Wir beschlossen, einfach mal gegen das Bündnerland zu fahren und unterwegs zu schauen, wo sich die besten Wetteraussichten befinden. Schliesslich ad hoc zu erörtern, wo es uns hinzieht. In dieser Disziplin sind wir bereits geübt …

In der weiten (Linth-)Ebene von March und Gaster angekommen – also kurz, bevor es rechts Richtung Glarnerland und geradeaus ins Bündnerland geht, erkannten wir, dass das Wetter vor Ort überraschend aufklarte, während die Wolken gegen die Alpen dichter wurden.
Damit kam der Chüemettler ins Spiel. Eine leicht verrückte Idee, die Christian, alias Ossi, bereits im Vorfeld geäussert hatte. Es standen in der Umgebung noch weitere, leichtere Touren zur Wahl. Doch trotz »erheblich» entschieden wir uns für die Abenteuer-Variante. Denn am Chüemettler war sowohl im Wald als auch in der Gipfelregion kaum Triebschnee zu erwarten.

Wir fuhren also an den Fuss der Flanke. Von Rufi, zwischen Kaltbrunn und Schänis gelegen, steigen mässig steile Flanken hoch und führen über mehrere Alpen schliesslich zur Westflanke unserers Ziels. Bei genügend Schnee kann man direkt aus der Ebene starten. Wir fuhren noch ein Stück auf der Alpstrasse hoch, bis es auf knapp 700 m (Untermatt) Zeit wurde, das Auto abzustellen und auf die Skis zu wechseln.
Hier geht es gleich zur Sache. Ziemlich steiles, unübersichtliches Gelände, von Wald durchsetzt, fordert die Steigtechnik ebenso, wie den Orientierungssinn. Glücklicherweise führen zu Beginn eine Ski- und eine Fussspur, später eine Schneeschuhspur – Locals eben, die sich durch nichts abhalten lassen, ihre Hütten und Alpen zu besuchen! – in Richtung Obermatt und Beischnaten (was für ein Name!). Wir folgen ihr mit kritischer Aufmerksamkeit. Denn es ist klar, dass keine der Spuren zu unserem Ziel führen wird. Doch vorerst geht es von Alp zu Alp.

Nach der Querung zur unteren Stöckalp, mit markantem Kreuz, ist dann alles unberührt.
Rassig gehts nun hinauf nach Oberstöcken. Wir sind in der Flanke angekommen. In den Waldpassagen misst Ossi schon mal 45° und mehr. Die Strecke von Spitzkehre zu Spitzkehre beträgt zwischendurch gerade mal eine gute Skilänge. Manchmal ist es gar klüger, die Skis abzuschnallen und sie als Handaufleger zu benutzen, während wir uns im Pulverschnee hochwühlen.
Sukzessive nimmt die Steilheit zu. In den offenen Passagen können wir jedoch problemlos auf Ski weiter steigen, auch wenn sich der Hang gegen 50° neigt.

Allerdings ist die ganze Sache ziemlich anstrengend. Auf dem Altschnee liegt eine dünne Neuschneeschicht. Beim Durchtreten stösst man auf die etwas kompaktere Schicht und die rutscht weg. Das ist für den Spurenden wie für den Nachfolgenden etwa gleich streng. Die Arme kommen extrem zum Einsatz, da sie fast bei jedem Schritt das Rutschen auffangen, plus das Gleichgewicht stabilisieren müssen. Auch die O-Beinstellung hilft leider nur wenig. Doch dem Spass und der Freude, sich in dieser einsamen, wilden Gegend bewegen zu dürfen, tut das keinen Abbruch. Zumal die Verhältnisse tatsächlich so sicher sind, wie vermutet. Und das Wetter spielt gut mit.

Auch die Orientierung gestaltet sich vor Ort nicht ganz einfach. Welche Lichtung ist das nun schon wieder? Wo ist der geeignetste Übergang zur nächsten Waldlichtung? Und wo führt die hin? Wo steigen wir am besten zum Gipfelgrat aus? Mehr rechts? Oder doch ziemlich direkt?
Die Zuversicht, es bis zum Gipfel zu schaffen, wird der Orientierung wegen einer harten Prüfung unterzogen. Doch wir fühlen uns gut und steigen unverdrossen nach oben.
Und wir haben Glück. Für einmal vielleicht auch das des Tüchtigen …
Praktisch ohne Umwege gelangen wir über den Wald und erreichen die Felsen, die den Grat begrenzen. Atemberaubend schauen sie aus, von einem dicken Eispanzer umhüllt. Selbst die restlichen Tannen hier tragen eine meterdicke Eisschicht. Wir wähnen uns in der Arktis.
Von hier sind noch hundert Höhenmeter zu bewältigen. Doch, wie gelangen wir unversehrt durch die Felsflanke? Wir beratschlagen. Wir entscheiden. Und haben wieder Glück. Wir gelangen in sanftem Zickzack zwischen den Bändern hindurch. Hier ist es deutlich über 50°. Doch beim Blick hinunter freue ich mich bereits unverhohlen auf die Abfahrt im herrlichen Pulver.
Schliesslich, nachdem wir die Skis endgültig abgeschnallt und diesmal aufgebunden haben, entdecken wir den Einstieg des zu Beginn erwähnten anspruchsvollen Wanderwegs. Das bedeutet für uns „Ausstieg“ auf den Gipfelgrat! Noch ein paar Meter und wir stehen auf dem Gipfel.
Hier grüsst ein veritabler Heiland aus Eis vom Gipfelkreuz. Die Besucher im Sommer müssen sich mit einem profanen, nackten Kreuz bescheiden. Nun könnte man in frommem Glauben erschauern, auserwählt, diese Erscheinung zu erleben …
Um uns eine gespenstische Stimmung. Wabernde Nebel-Dunstschwaden geben abwechselnd frei und verhüllen. Wir wähnen uns am Ende der Welt – und der Zeit.

Zeit? Nein, das ist noch nicht das Ende. Das Gipfelglück will nicht so recht aufkommen. Noch wartet ja die Abfahrt. Und die verspricht, nicht ganz ohne zu werden.
Wir haben für die 1000 Hm rund 5 1/2 Stunden gebraucht. Eine lächerlich anmutende Zahl, wenn wir bedenken, dass selbst auf dem Wanderwegweiser, kurz nach unserem Aufbruch, 2 Stunden stand für den Normalweg zum Gipfel. Doch, wir haben brav gearbeitet, nicht getrödelt. Wir sind auch keineswegs erschöpft. Es hat einfach so lange gedauert. Das heisst aber auch, dass es bald … eben: Zeit wird, umzurüsten, die Skis anzuschnallen und uns auf den Weg nach unten zu machen, bevor die Dämmerung einsetzt.

Die kleine Wächte beim Einstieg in die Flanke überwunden, den Schnee nochmals bei ultimativer Steilheit überprüft und ab geht die Post. Wobei das Vergnügen eher für Unerschrockene geeignet ist. Denn, während wir mit dem Gewicht tief in den stabilen Alt-Pulver eindringen, löst sich mit jedem Schwung die gesamte Neuschneeschicht darüber und rutscht dem Fahrer hinterher. Gut zu wissen, dass die Neuschneehöhe nicht reicht, um einen Menschen mitzureissen.
So entwickelt sich die Abfahrt durch die -55° steile Chüemettler Westflanke zum ungetrübten Spass. Wir geniessen jeden Schwung und können die gesamte Flanke abfahren, ohne einmal die Skis abzuschnallen. Auch die Übergänge von Lichtung zu Lichtung lassen sich gut bewältigen. Manchmal kurz rutschend, manchmal springend.

Viel zu früh stehen wir am Fuss der ebenso erstaunlichen wie wunderbaren Flanke. Doch es ist ja noch nicht vorbei. Die Querung zurück nach Beischnaten gestaltet sich angenehmer, als befürchtet. Und dann folgen nochmals rassige Hänge, einer nach dem andern, bis wir nach 3/4 Stunden wieder beim Auto anlangen.
Das obligate SMS an die Frauen – ich: „Bi wider dune, alls no dra”, oder kurz: „bwd-and” – und wir befinden uns auf dem Heimweg von dieser aussergewöhnlichen Skitour.

Den passenden Bericht von ossi kannst du hier lesen. Von ihm stammen verdankenswerterweise auch die Fotos. Meine Kamera ruht immer noch irgendwo unter dem Rophaien …

2 Kommentare »

  1. Tönt extrem gfürchig und spassfrei für den Normalverbraucher. Bin froh, dass ich nicht dabei war…

    Sandro Friedrich am 19. Februar 2012 um 18:09 Uhr

  2. […] habe …… …… ;-( . Als Überbrückung: Neben dem folgenden Bericht, schildert auch die Chüemettler-Tour eine von  unseren gemeinsamen […]

    2bd Blog | Bernhard Brändli-Dietwyler » Abfahrt durch die Säntis Nordwand am 6. April 2012 um 13:14 Uhr

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