«Brot, Käse, Hüttentee» – und was sonst noch?

von 2b am 8. Juli 2011

Der folgende Beitrag wurde ursprünglich verfasst als Replik auf einen Artikel über Ernährung im Gebirge («Brot, Käse, Hüttentee») im Monatsheft «Alpen» des SAC. Aus der Replik wurde schliesslich ein selbständiger Artikel, der vielleicht dazu beiträgt, sowohl in Sachen Ernährung als auch in Sachen Regenerieren beim Sport Treiben draussen in der Natur ein längst fälliges neues Kapitel aufzuschlagen.
Zum Verständnis sei darauf hingewiesen, dass es sich bei der Ernährung um einen Teil des gesamten Regenerationsprozesses handelt. Das übergeordnete Denken muss also stets das Gesamte im Auge behalten und die Teilwissenschaften 
im Kontext der Regeneration insgesamt verstehen und einordnen. Das führt dann häufiger als nicht zu neuen, oft überraschenden Ergebnissen. In diesem Sinn ist der folgende Artikel auch zu verstehen. 

  • Der Autor arbeitet an einem Buch über kluges Energiemanagement beim Sport Treiben, insbesondere bei Aktivitäten in den Bergen. Zum Thema kluges Haushalten mit der eigenen Energie hat er bereits ein Buch veröffentlicht (siehe am Schluss des Beitrages!)*
  • Bilder zur im Text erwähnten Tourenwoche finden sich unter folgender Internetadresse:  http://gallery.me.com/bernhard.braendli (Tourenwoche Splügen)

«Brot, Käse, Hüttentee» – und was sonst noch?

Erwartungsfroh schlug ich die Seite auf, um das Neuste bezüglich Ernährung im Bergsport zu erfahren. Am Schluss der Lektüre fragte ich mich allerdings: Was soll ich nun damit anfangen? Die Hauptbotschaft dort lautet: Mache es wie bisher. Plus neu: Iss auf Tour gleichsam eine Vollmahlzeit. Ich setzte meine eigenen Erfahrungen aus Kursen und Privattouren dazu in Beziehung und so kam es zu dieser Replik.

Die Vorbereitung

Folgen wir der üblichen Chronologie, beginnen wir mit der Vorbereitung auf eine Tourenwoche! „Fünf mal am Tag Früchte und Gemüse,“ lautet der Ratschlag im Artikel. Gut, das kann man mittlerweile auch im Supermarkt auf grossen Plakaten lesen. Nur, welche Büroangestellten, die sich kaum eine Mittagspause von 20 Minuten gönnen, welche Führungskraft, welcher Handwerker, der von Termin zu Termin hetzt und jeden Unterbruch mit telefonieren verbringt, welcher gestresste Lehrer leistet dem Folge? Ein solches Privileg geniessen wohl, falls überhaupt, nur Familienfrauen ohne Zusatzjob. Nur, wie viele von denen gehen auf Skitourenwochen?

Wenn wir das Trio der Lebensfunktionen betrachten – Fitness / Ernährung / Regeneration –, so empfehle ich punkto Vorbereitung, sich eher auf die gute, alte Fitness zu konzentrieren; dort ist der langfristige Effekt und ebenso der grundlegende Leistungseinfluss bei sportlicher Betätigung am deutlichsten.

Doch, „grau ist alle Theorie,“ lassen wir die Praxis sprechen.

Regeneration …

In Woche 12 – sagenhaftes Wetter, prekäre Lawinensituation – war eine Skitourenwoche geplant. Wir «flüchteten» uns in die relativ sicherste Gegend Splügen-San Bernardino, und wir sollten das keine Minute bereuen. – Obwohl wir angesichts unserer Ambitionen eine coole Fitness voraussetzen mussten, taten wir das, was ich unabhängig von jeglichen Einflussfaktoren stets tue: Wir begannen mit einer moderaten Tour (Guggernüll) und liessen so dem Körper Zeit, sich einzugewöhnen sowie uns mit den lokalen Schnee- und Lawinenverhältnissen eingehend vertraut zu machen. Ich gestehe, Ambitionen hin oder her, wir nutzten die sich bietende Gelegenheit, als Basisstation ein komfortables Gasthaus zu beziehen. Damit sicherten wir nämlich das, was ich ohne Umschweife als die mit Abstand wichtigste Massnahme zur Vorbeugung gegen zunehmende Erschöpfung, bzw. zur Förderung des Erlebniswertes während einer Tourenwoche empfehle: genügend Regenerationszeit! Wir begaben uns ungestört jeweils so früh zur Nachtruhe, dass wir täglich zu den von unserer Biologie (leider in der Regel ohnmächtig) geforderten 9 – 10 Stunden Schlaf kamen. Das Ergebnis daraus kann man nur mit «fantastisch» umschreiben. Mehr als merkwürdig, dass das bisher kaum Beachtung findet. Mein Tourenpartner, der sich diese Wonne bisher nicht gönnte, war nach anfänglichem Zögern bereits nach der zweiten Nacht begeistert. Und das ist genau das, was ich schon hundertfach von Kursteilnehmenden erfahren habe. Nur, tun muss man es! Da braucht’s halt manchmal tatkräftige Unterstützung.

… die fast verlorene Schönheit

Damit spreche ich natürlich zugleich eine alte Untugend des Hüttenlebens an, die durch den zunehmenden und durchaus begrüssenswerten Wandertourismus noch verstärkt wird. Selbstverständlich gehöre ich daher zu jenen, die es begrüssen, wenn in Hütten vermehrt «Splendid Isolation», also Zweierzimmer, für die Nachtruhe angeboten werden, wie das in Österreich z.T. schon seit Jahrzehnten der Fall ist; soviel ich weiss, ohne dadurch dem Alpinismus ernsthaft zu schaden. – Wenn ich Tourenkurse leite, achte ich jedenfalls mit Vehemenz darauf, dass die Teilnehmenden zu genügend Regenerationszeit kommen. Sind wir im Massenschlag in einer stark besuchten Hütte untergebracht, sorge ich dafür, dass wir nach der Rückkehr von der Tour am Nachmittag zwei Stunden schlafen können; das geht häufig auch draussen an der Sonne.
Zum potenten Energiemanagement auf Tour gehört jedoch unbedingt auch die Kurzregeneration tagsüber, also echte Ruhepunkte während der Tour. Das heisst, zurücklehnen, schweigen, Augen schliessen – kurz: äusserlich abschalten. Indem wir dies in unseren Kursen wann immer möglich befolgen, wurde es schon fast zur Selbstverständlichkeit, dass Teilnehmende, die bisher kaum mehr als drei Stunden Aufstieg verkrafteten, plötzlich locker fünf Stunden bewältigen, inklusive die zusätzlichen Abfahrts-, bzw. Abstiegsmeter.

Manchmal gestaltet sich das regelmässige Innehalten jedoch gar nicht so einfach. In besagter Woche befuhren wir ein wunderbares 900 Meter Couloir, direkt oberhalb von San Bernardino gelegen. Wir hatten es zufällig entdeckt und beobachteten dann immer wieder die Verhältnisse, bis uns die Gelegenheit günstig erschien. Als ich mich zum Schluss des Aufstiegs, nach dem Überwinden der Gratwächte, auf einem Stein ausstreckte und einen «Powerrest» hielt – eine rund 20 minütige Liegepause. «vergitzelte» mein Tourenpartner schier. Jedoch: Kaum hatten wir die ersten 100 doch ziemlich steilen Meter auf hartem Schnee hinter uns, bedankte Christian sich für die Zwangspause, die ihm die nötige Ruhe vor dem Sturm beschert hatte. Der Rest war dann ein Traum in Sulz.

Wann wieviel essen

Welche Rolle spielt nun die Ernährung bei dem Ganzen? Der Autor des Artikels im «Alpen» empfiehlt die Vollmahlzeit tagsüber, um der Erschöpfung vorzubeugen. Ich spüre im Geist bereits die Riemen meines Rucksacks und runzle die Stirn. Ist das wirklich das richtige Mittel, um heil über die Runden zu kommen?
In der Tat, wir hatten je eine grosse Tasche mit Zwischenverpflegung in die Tourenwoche mitgebracht (unsere lieben, fürsorglichen Frauen …!). Davon packten wir am Morgen jeweils eine Portion in den Rucksack, die sicher reichen sollte. Wir steigerten die Leistungsanforderungen mit jedem Tag (Ucello, Mucia, Couloir), bis wir schliesslich zur letzten Tour aufbrachen. – Obwohl ich Kurse leite, gehöre ich eindeutig zur Kategorie Hobbysportler, wie wohl die meisten der geschätzten LeserInnen dieser Zeitschrift. Gerade noch innerhalb dieser Bandbreite lag diese Tour (Einshorn); sie brachte rund 12 km Gehdistanz und 1700 hm mit sich, also knapp sieben Stunden Aufstieg (mit Gegensteigung); die entsprechende Abfahrt, zum erheblichen Teil in grundlosem Nassschnee, inklusive. Auch auf dieser Tour entwickelte sich dasselbe angenehme Muster, wie auf den weniger anstrengenden Touren davor. Und was für ein Muster war das?

Bilanz: Was wir im Verlauf dieser Woche tatsächlich verzehrten:

  • Stets ein gutes Nachtessen (und eine Flasche vorzüglichen Weins dazu), aber (von beidem!) nicht zuviel (für en tüüfe, gsunde Schlaf).
  • Und vor allem: Stets ein sattes Frühstück, das volle Programm eben (Hütten, wie die vom Autor erwähnte, sollen Schule machen!).
  • Und unterwegs? Wir assen immer dann, wenn wir Hunger, oder zumindest Lust hatten. – Nach den fünf Touren lautete die Bilanz folgendermassen: Mein Freund hatte während den ganzen fünf Touren insgesamt einen Drittelsack Baslerleckerli gegessen (ca. 150g), ich ein Viertelsäcklein jener m. E. genialen neuen Mischung aus Salznüssen mit Früchten, plus 2 Getreidestängel. Christian war selber gelinde gesagt erstaunt.

Soviel zur Vollmahlzeit auf Tour. Wir waren stets wohlgenährt, zufrieden und hatten einfach nicht mehr Hunger.
Allerdings: Wir waren jeden Tag vollständig ausgeruht! Dazu eine Bemerkung: Regeneration bedeutet wesentlich Stoffwechsel. Das heisst, neue Energie wird umgewandelt und verteilt, verbrauchte Stoffe werden abgeführt und schliesslich ausgeschieden. Regeneration ist eine sehr intensive innere Aktivität und erfordert, dass der Organismus äusserlich ruht. Entsprechend besagt die bio-logische Logik: Nur, wenn die Regeneration vollständig stattfindet – wenn also ausreichend geruht wird –, kann die aufgenommene Nahrung / Energie vollständig nutzbar gemacht werden!

Fazit Verpflegung: Ein normales Abendessen, plus ein reichhaltiges Frühstück reichen, um für einen langen Tourentag versorgt zu sein. Fällt das Frühstück einmal knapp oder gar ganz aus, so reicht auch dann eine bescheidene Zwischenverpflegung.

Ein kleiner – je nachdem sehr angenehmer – Nebeneffekt besteht darin, dass auf diese Weise bei längeren körperlichen Anstrengungen allfällige überflüssige Fettreserven abgebaut werden (Menschen, die kein überflüssiges Gramm Fett auf sich tragen, nehmen für die grosse Ausdauertour zur Sicherheit etwas mehr Verpflegung mit). Der Körper findet wieder durch die intensive Aktivität in sein natürliches «Gleichgewicht von Geben und Nehmen»; das heisst du nimmst über Nahrung soviel Energie zu dir, wie du verbrauchst. Jedes Mal, wenn du nach Hause zurückkehrst, besteht die Chance auf einen Neubeginn im Energiegleichgewicht. Verbessert wird diese Chance zusätzlich dadurch, dass längere körperliche Anstrengungen den Stoffwechsel anregen. Das heisst, zumindest für eine Weile, führt dein Körper überflüssige Stoffe besser ab. Forderst du deinen Körper regelmässig, so bleibt das auch so (falls keine anderen Ursachen deinen Stoffwechsel behindern). In Kombination mit einem lebensvernünftigen persönlichen Energiemanagement (s.u.) bist du bestens gerüstet und wirst viel zusätzliche Freude auf Tour und allgemein im Leben erleben.

Flüssigkeit!

Was wir auf Tour hingegen reichlich konsumierten, war Wasser (nichts gegen Tee!). Wir hielten kurz an und tranken, wann immer wir Durst verspürten. Danach machten wir stets einen ganz kurzen Ruhepunkt (Mikropunkt) von etwa einer Minute, im Stehen. Die Augen schliessen, durchatmen und geniessen! Die kurzfristigen Speicher – Wasser und Energienachschub – möchten unbedingt nachgefüllt werden. Das ist offensichtlich entscheidend. Das einzige Mal nämlich, dass ich unterwegs eine leichte Krise hatte, war, als ich vergessen hatte, die Flasche am Morgen wieder ganz aufzufüllen und so nur etwa einen halben Liter dabei hatte. Für die letzte, doch recht lange Tour trug ich dann gerne knapp zwei Liter Wasser mit. – Fazit: Ich bin mir sicher, das regelmässige und reichliche Trinken bewahrte uns – neben selbstverständlich regelmässigen Ruhepunkten – vor jeglichen Anzeichen von Erschöpfung. Im Gegenteil: Unser Leistungsvermögen steigerte sich dank der vollständigen Regeneration nachts und tagsüber und dem dadurch ebenfalls vollständig stattfindenden Überkompensationseffekt deutlich von Tag zu Tag.

Und wer ist «wir»? Mein Partner in jener Woche, Christian, ist ein relativ junger Mann (37), ich bin sechzig. Ich trainiere deutlich weniger, als in meinen «wilden» Jahren, als ich noch nichts von einem vernünftigen Energiemanagement wusste. Ich verhalte mich also eher antizyklisch zur altersbedingten Leistungsfähigkeit. Doch mag ich heute noch, wenn es denn sein muss, ohne Probleme 12, 14 Stunden intensiv und anspruchsvoll unterwegs sein. Zweifellos dank meinem Wissen über den klugen Umgang mit meiner eigenen Energie und vor allem: mit der entsprechenden Praxis!

Kluger Umgang mit der eigenen Energie

Regeneration ist kein Hokuspokus. Da wird – wie ein Leser meines Buches dazu schrieb – „kein Wundermittel versprochen; richtig gemacht bewirkt sie jedoch Wunder.“

Wie wirkt sich ein vernünftiges persönliches Energiemanagement auf Tour aus?

  • Bedeutend weniger Stress, mehr da sein im Moment. Das Gipfelerlebnis, das Erleben der Natur, der Kameradschaft, all das wird dadurch intensiver, schöner.
  • Ein vorher nicht gekanntes Mass an Souveränität und Leichtigkeit beim Leisten, verbunden mit einem angenehmen Wohlbefinden im Körper.
  • Die Gesundheit unterwegs (und allgemein) wird gestärkt; Krankheiten heilen schneller, weil die Regeneratioin vollständig stattfindet. Zusätzlich wird das Immunsystem gestärkt (Regeneration ist dafür der wichtigste Faktor; deshalb ist es wiederum nur bio-logisch, dass Immunschwächekrankheiten, wie zB Allergien parallel zu unserem chronischen Energieraubbau exponentiell zunehmen!).
  • Durch das regelmässige Auffrischen der Konzentrationsfähigkeit werden Fehlleistungen, die in den Bergen ja rasch fatale Folgen haben können, signifikant reduziert! Entscheidungen werden deutlich ruhiger und überlegter getroffen. Und vor allem passieren kaum unkontrollierte Bewegungen als Folge von Müdigkeit und dadurch geschwächter Konzentration – die überwiegenden Verursacher von Selbstunfällen (nicht nur) im Gebirge. Kurz: Die Sicherheit auf Tour, würde ich aus dem Stehgreif sagen, wird mindestens verdoppelt (ich darf sagen, seit wir dieses E-Management privat und in Kursen anwenden, passierte in 25 Jahren kein einziger Unfall auf Tour.

Ich fasse zusammenWahrscheinlich ist das, was in jenem Artikel steht, fachlich alles richtig. Doch, wie gesagt: Grau ist alle Theorie. Was für den Spitzensport eventuell (zurzeit gerade) richtig sein mag, braucht die Normalverbraucher – hier einmal wörtlich verstanden! – nicht unbedingt zu scheren. Und ganz allgemein: Wenn die – neben Wetter, Kompetenz und Ausrüstung – auf Tour mit Abstand wichtigsten Erfolgsfaktoren keine oder wenig Beachtung finden, wirkt das, wie wenn ein Problem mit den falschen Mitteln angegangen wird: paradox. Die ganz kurzfristigen Faktoren Flüssigkeit und Kurzregeneration sind für den Erfolg weit bedeutender, als der mittelfristige Faktor Nahrung.

Schlussfolgerung: Wenn die Hütten punkto Frühstück weiter aufrüsten, können Tourengänger und –innen sich unterwegs getrost mit ein paar Lusthappen begnügen. Konsequenz: leichtes Gepäck, sich leicht anfühlender Körper. Und: Die Zeit, die für das Essen reserviert war, kann auf Tour nutzbringender in regelmässige echte Ruhepunkte investiert werden. Die Erschöpfung – falls sie überhaupt noch je stattfindet – wird weit hinausgeschoben.

*Das Buch zum klugen persönlichen Umgang mit der eigenen Energie heisst: «Ruhepunkt – Ein Crashkurs»; erschienen im Knapp Verlag Olten. Zu beziehen beim Autor dieses Artikels (www.bernhard-braendli-dietwyler.ch/ruhepunkt).

PS: Eine überarbeitete und erweiterte Version des Artikels findet sich in der Neuausgabe des Buches «Das 3×3 der Ernährung».(http://www.bernhard-braendli-dietwyler.ch/publikationen/).

1 Kommentar »

  1. […] PS2: Die Ernährung gehört als Stufe 1 auch zum hier geschilderten Energiemanagement. Meinen Beitrag dazu, der in erweiterter Form in meinem Buch «Das 3×3 der Ernährung» steht, kannst du ebenfalls hier im Blog nachlesen. […]

    INSIDER: die Stimme der Normalen Revolution » Auf langer Tour mit Ruhepunkten am 28. Juli 2014 um 17:07 Uhr

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