Cinque Terre – Ein Reisebericht Teil I

von 2b am 14. Juni 2011

Das Wandern ist des Mister Millers Lust

CINQUE TERRE – ein Reisebericht Teil I

Das Wandern ist Herrn Müllers Lust. Nicht nur der Herren Müller aus schweizer, deutschen und österreichischen Landen – auch Mr. Millers aus Übersee. Doch pflegen die Nationen manchmal überraschend fein säuberlich getrennte Wege zu gehen. Während auf dem – zweifellos über weite Strecken grandiosen – klassischen Abschnitt der «Cinque Terre» die Deutsch- und noch mehr die Italienischsprachigen im Meer des american English vollkommen untergehen, sind wir Alpenländler im über weite Strecken noch grandioseren zweiten Abschnitt fast ganz unter uns. Wen wundert“s: Dort stellt der wilde Weg noch höhere Ansprüche an die individuelle Gehtüchtigkeit. Dort drohen also keine Staus, weil Touristen – bewehrt mit Flip-Flops, Kürzest-Pants und anderen mehr oder weniger tauglichen Wanderutensilien, weder vor noch zurück können. Schweizerdeutsch ist im zweiten Abschnitt der «Cinque Terre» sogar gleichsam die Amtssprache der Bewegten. Zeitweilig felsige Wegabschnitte gemahnen denn auch eher an eine Bergwanderung, denn an das Wandeln inmitten der blühenden Macchia, hoch über der ligurischen Küste. Doch, wie der Autor des famosen, all und einen Cinque Terre Führers, Christoph Hennig, richtig sagte: Schwindelfrei muss man trotzdem nicht sein.

Dabei begann das Ganze in Erwartung des wandernden Supergaus. In schierer Naivität hatten meine Frau Elsbeth und ich (ha – der Vorschlag kam von ihr!) uns zu Fronleichnam an die italienische Riviera aufgemacht, um uns, in der Annahme es sei jetzt Zwischensaison, in den «Cinque Terre» einen alten Wandertraum zu erfüllen. Am ersten Cinque-Ort, Monterosso, angekommen, sahen wir uns jedoch inmitten der von allen ausser ihnen selbst gefürchteten Horde Amerikaner – lauter «Kreuzfahrer» – sowie einer Menge anderer Zeit- und Leidensgenossen wieder, die sich alle am Vorabend ihres ganz grossen Wandererlebnisses zu befinden wähnten. «Wenigstens kostet“s Eintritt», sagten wir uns als Trost für die italienische Nationalparkverwaltung. Und als Tüpfelchen auf dem «i» goss es in Strömen.

Natürlich hatten wir, in Erwartung sich nach Touristen sehnender Hotel- und Restauranteigner, nichts im voraus reserviert. «Cinque Terre» war für uns noch «Terra Incognita». Das änderte sich bald. Nach dem erschrockenen Studium des erwähnten Führers stellten wir fest: Fronleichnam (-> Brücke bis Sonntag), kombiniert mit Ende Mai. Höher kann man dort die Hochsaison nicht treffen. Na Bravo! Eine Unterkunft frei – was ist das?

Nach den ersten dreissig Telefonaten war es dann doch soweit – gesichtslos zwar, aber für den absoluten Fehlstart okay. Nach einer Kette weiterer Anrufe waren dann einige weitere nächtliche Standorte für unsere Reise fixiert. Überall galt: Das letzte Zimmer, der letzte Tisch. Letzterer zu unserem Glück sogar im (vermeintlich, wie sich zeigen sollte) besten Fischrestaurant des Ortes.
Als wir uns abends im besagten bzw. angesagten Restaurant einfanden, durften wir uns bereits wieder ein bisschen über vorausschauende Klugheit oder zumindest über eine gewisse Lernfähigkeit freuen. Eine lange Schlange wartender, vergeblich auf Einlass hoffender Touristen hatte sich vor dem Lokal gebildet. Was uns, zusammengefasst, bevorstand: Ein toller Abend im «Miky“s» – ua mit der Meeresfrüchtepasta unseres Lebens. Sogar Vorfreude auf die kommenden Tage kam wieder auf. Schliesslich reisten wir nicht zum ersten Mal. Wir haben im Verlauf der Jahre ein gewisses Talent in der Spontanorganisation vor Ort entwickelt (und schätzen doch zunehmend die beruhigende Sicherheit: «Es ist alles organisiert»). Wer allerdings dezidierte Ansprüche hat, sollte in jener Region zusätzlich ein gewisses Durchsetzungsvermögen mitbringen, gewürzt mit massvoller Freundlichkeit und – falls gerechtfertigt – Begeisterungsfähigkeit. Doch, lassen wir es Morgen werden!

Der erste Morgen: Start zur Hauptetappe über alle «Cinque Terre» Orte (Quizfrage: Wie viele sinds?). Eintrittskarten holen (wird kontrolliert) und los geht“s.
Aber, was ist passiert? Überraschung! Morgens um halb zehn sind wir fast allein unterwegs. Wo sind all die Amerikaner geblieben? Bis zum ersten grösseren Zwischenstopp in Vernazza wandern wir Alpenländler auf dem angenehm anspruchsvollen Pfad quasi unter uns. Wir entdecken «Cinque Terre» at its best: Blühende, duftende Macchia, grandiosen Ausblicke auf die wilde Felsenküste und ins weite Meer hinaus, wo der Horizont sich im Dunst verliert, und Stille rundherum. Hingegen ist es bereits zu dieser Jahreszeit feuchtheiss, also schweisstreibend. Der Regen von gestern verdunstet nun und schafft eine tropische Atmosphäre. Immerhin geht’s zwischendurch recht steil hinauf.

Vernazza ist für mich das eigentliche Juwel der Cinque Terre-Dörfer. Keine Hotels, nur Privatzimmer, zT mit spektakulärer Aussicht (ich habe mir zwei Telefonnummern notiert –> bei mir einzuholen). Tolle Atmosphäre, vollkommen intaktes Dorfbild – unendlich verschachtelte Fassaden, Treppen, Terrässchen – perfekter kleiner Hafen. Romantik pur! (Allerdings: Die Eigner der den Hafen umgebenden Häuser mit Restaurants sollten ein paar Mal in ihre längst vergoldeten Nasen schnäuzen, damit aus dem goldenen «Schnuder» ein neuer Anstrich für die bedenklich blätternden Fassaden wird).
Was habe ich eben geschrieben? Romantik pur? Hier waren sie wieder, die Horden. Wie sind die hierher gekommen? Ach so! Alle halbe Stunde fährt ein Zug von Ort zu Ort (wir sind an der internationalen Strecke Genua – la Spezia). Denen war vielleicht der Wetterbericht zu unsicher. Dabei war’s doch perfekt warm heute morgen, Sonnenschein und ab und zu ein paar angenehme Regentropfen. Oder ist die Strecke vielleicht zu einsam angelegt für Leute, die gewohnt sind, sich wie Schwärme von Meerbarschen fast ausschliesslich in der Masse zu bewegen? Da kann ich nur raten: Carpe diem!

Auf der folgenden Etappe kommen wir allerdings doch noch zum «typischen» Cinque Terre-Erlebnis. Ab Vernazza, bis zum letzten Ort der Cinque Terre, Riomaggiore, ist die Szene ziemlich belebt, um es mal so auszudrücken. Wir wähnten uns eher in Oregon, denn in sunny Italy! Wir hatten unsere vielgeprüften Überholerqualitäten mehr als einmal unter Beweis zu stellen. Während sich zB vor uns wieder mal ein erheblicher Stau gebildet hatte, weil eine ängstliche Wanderin unbedingt alle Entgegenkommenden abwarten wollte (schätzungsweise ginge das bis November), sagte doch die junge Anführerin der Gegenkolonne tatsächlich direkt neben mir: «Let“s chill here!». Die eine wartet, bis die Kolonne endet und die andere sorgt dafür, dass die Kolonne steht. Mein verzweifelt-bestimmtes: «No, you don“t! This is definitely the wrong place to chill», brachte die Sache schliesslich wieder in Bewegung. Ein paar entschlossene Überholungen weiter hatten wir das Chaos hinter uns … bis zum nächsten Stau.
Aber: So schlimm war es aufs Ganze gesehen gar nicht. Die Schönheit der Natur blieb erhalten und überwog dann doch. Und, als kurz vor Corniglia der Weg über Manarola bis zum Endpunkt unserer ersten Etappe breiter wurde, und untaugliches Schuhwerk (sowie manchmal noch untauglichere Physis, die sich darüber breit machte) nicht mehr an feuchte Steine zu klammern versuchte, liess sich das Ganze bereits wieder ordentlich an. Hoch frequentiert, aber okay.

Hier gehts weiter mit Teil 2

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