Offener Brief an Ottmar Hitzfeld

von 2b am 8. August 2007

Betrifft: Die Gefahr auszubrennen

Sehr geehrter Herr Hitzfeld

Als ich Sie zum ersten Mal wieder bei Bayern am Spielfeldrand sah, bin ich offen gestanden erschrocken. Sie waren so enorm fahrig-nervös, wie man das sonst nur unter Drogen sieht. Als Fachmann für Erholung gibt es für diese Erscheinung zwei Alternativen (Drogenkonsum ausgenommen): Entweder Ihre Erholung in der trainerfreien Zeit in Engelberg war doch nicht so komplett, wie das die Medien kolportieren; das heisst, Sie waren sofort wieder an Ihrer Grenze, sobald die Stressmaschine, wie sie ein solches Amt darstellt, Sie wieder erfasst hatte. Oder Sie waren durch die intensive Erholung so sensibel geworden, dass Ihnen die bei Ihnen ohnehin nicht besonders ausgeprägte Stressresistenz ganz abhanden gekommen ist.
Immerhin haben Sie dieses Mal rasch erkannt, was sich mir damals schon beim ersten Blick aufdrängte: «So schaffe ich das nie und nimmer!»

Sie haben ein Potenzial und sind eigentlich ein  sympathischer Mensch. Heisst das nun, dass Sie das nicht mehr im Profifussball ausspielen können, nur weil Ihnen die Erholungskompetenz abgeht? Das wäre schade für Ihre Leidenschaft, schade auch für uns Fussballfreunde.

Mein Vorschlag: Lernen Sie, wie man sich richtig und effizient erholt und Sie werden frei, Ihrer Leidenschaft zu frönen. Die Erholungskompetenz geht uns zwar mittlerweile fast allen ab. Aber sie ist noch zu finden. – Ich stelle mir vor, Sie werden jetzt in ein gut gemeintes Stressmanagement-Programm eingeschleust. Aber das wird es nicht bringen; es bleibt am Problem hängen. Die tatsächliche Lösung ist nämlich einfach, auch wenn ich zugeben muss, dass sie mittlerweile beinahe ganz vergessen wurde. Aber wir arbeiten (seit nunmehr 12 Jahren) daran, sie wieder unter die Leute zu bringen. – Die Lösung zu kennen ist also nicht der kritische Punkt. Sondern die Frage, wie es Ihnen, Herr Hitzfeld, gelingt, sie zu packen.

In Ihrem Fall – ein reifer Mensch, grundsätzlich unabhängig, aber (freiwillig) eingespannt in eine enorme (Stress-)Maschine – ist m.E. eine so genannte GAP-Analyse angebracht.

Ganz kurz: Zwischen IST und SOLL liegt ein GAP. Der ist, je nachdem, klein bis riesig. Dort liegt die wahre Herausforderung. Dort zählen allein Sie und Ihre spezifischen Umstände. Sie sollen in einzelnen Schritten lernen, wie es in Ihrer Situation möglich ist, sich ausreichend zu erholen, damit Sie nicht nur Ihren Job ausgezeichnet – möglichst besser denn je! – machen können, sondern dabei auch gesund bleiben und Sie sich darüber hinaus einfach saumässig gut und souverän fühlen. Die Voraussetzungen dazu erfüllen Sie meines Erachtens. Allerdings kenne ich Sie nicht persönlich. Ich muss mich also auf meine Beobachtungen per Bildschirm stützen.

Für Ihre Spieler, die ja deren enormes Potenzial bereits chronisch unterlaufen, dürfte ebenfalls in Sachen Erholungskompetenz zumindest ein grosser Hase im Pfeffer liegen. Allerdings müsste man das anders anpacken. Aber, ich persönlich denke, zuerst sollte der Trainer darum besorgt sein, dass er auch in dieser Hinsicht ein Vorbild ist.
Oder, was meinen Sie?

Mit freundlichen Grüssen
Bernhard Brändli-Dietwyler

2 Kommentare »

  1. […] (Dies bestätigt auch seine (Nicht-)Reaktion auf meine Avance vor bereits vier Jahren, die in einen offenen Brief mündete; er ist, auch in Not, unfähig, sich zu […]

    2bd Blog | Bernhard Brändli-Dietwyler » Fussball: Wachablösung bei den Trainern gefordert am 8. Oktober 2011 um 12:51 Uhr

  2. […] Sie sollte – wie so häufig – die Ohnmacht bezüglich der Wirkung kompensieren. Das Modell der GAP-Analyse, das ich eigentlich für Organisationen – also für Kunden – entwickelt hatte, half mir dann […]

    2bd Blog | Bernhard Brändli-Dietwyler » Wo stehen wir heute am 30. Juli 2012 um 0:09 Uhr

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